Warum Sie eine Liste mit NEINs führen sollten

In Zeiten anhaltender wirtschaftlicher und geopolitischer Unsicherheit stehen Unternehmende mehr denn je vor der Herausforderung, erfolgreich zu navigieren. Diese Aufgabe wird zunehmend komplexer, da Entscheidungsträger mit einer immensen Anzahl von Entscheidungen konfrontiert sind, die sie täglich treffen müssen.

In diesem dynamischen und oft unvorhersehbaren Umfeld wird die Fähigkeit zu strategischem Handeln immer wichtiger. Damit meine ich nicht nur, auf das unmittelbar Bevorstehende zu reagieren, sondern bewusst Wege zu wählen und zu verwerfen. Genau an diesem Punkt setzt Richard Rumelt an, einer der führenden Vordenker im Bereich der strategischen Unternehmensberatung.

Die Kunst des strategischen Verzichts

Richard Rumelts 2011 erschienenes Buch „Good Strategy Bad Strategy“ gilt meines Erachtens zu Recht als wegweisend für die Bedeutung von strategischer Klarheit und Entscheidungsfindung. Insbesondere seine Argumentation, dass eine echte Strategie das Ergebnis einer bewussten Entscheidung gegen bestimmte Optionen ist, bietet wertvolle Einblicke in die Entwicklung einer „Nein“-Liste - ein unverzichtbares Instrument für klare und zielgerichtete Entscheidungen in einer komplexen Welt. Hier ein Auszug:

"Strategy is scarcity´s child and to have a strategy, rather than vague aspirations, is to choose one path and eschew others. There is difficult psychological, political, and organizational work in saying 'no' to whole worlds of hopes, dreams, and aspirations."

Dieses Zitat zeigt, dass eine echte Strategie mehr bedeutet, als nur vage Ambitionen zu haben. Es geht darum, sich für einen Weg zu entscheiden und andere bewusst abzulehnen.

„Nein“ zu sagen zu Hoffnungen, Träumen und Sehnsüchten erfordert harte psychologische, politische und organisatorische Arbeit. Meiner Meinung nach führt uns diese tiefe Einsicht zu der Frage, wie eine solche strategische Entscheidungsfindung in der Praxis aussehen kann, insbesondere durch die Einführung und Verwaltung einer „Nein“-Liste, die uns nun zum nächsten Abschnitt führt.

Was ist eine „Nein“-Liste?

Ein begleitendes Element der strategischen Planung ist, wie im letzten Blogbeitrag erwähnt, die sogenannte Nein-Liste. Um im Wettbewerb erfolgreich zu sein, ist es unerlässlich, dass Unternehmen nicht nur bewusste Entscheidungen darüber treffen, was sie tun werden, sondern auch, was sie nicht tun werden. Die strategische Ausrichtung eines Unternehmens, die durch die Beantwortung von sechs Schlüsselfragen definiert wird, legt fest, auf welche Ziele und Aktivitäten sich das Unternehmen konzentrieren wird.

Vier Beispiele für Neins!

Ebenso aufschlussreich ist es, zu spezifizieren, was bewusst nicht getan wird. Die „Nein“-Liste dient dazu, diese bewussten Entscheidungen gegen bestimmte Kunden, Märkte, Produktlinien oder Initiativen festzuhalten und transparent zu machen. Diese Klarheit unterstützt nicht nur die interne Entscheidungsfindung und Prioritätensetzung, sondern kommuniziert auch nach außen, auf welche Werte und strategischen Ziele das Unternehmen seine Ressourcen fokussiert. Vier Beispiele für Neins:

  • Welche Kunden wir nicht bedienen.

  • Welche Branchen wir nicht erschließen wollen.

  • Welche Geschäftsmodelle wir nicht weiterentwickeln oder anbieten.

  • Welche Initiativen wir nicht weiterverfolgen.

Warum? Drei Gründe für eine Nein-Liste

1.     Freiraum für Neues schaffen – Ballast abwerfen

Unternehmen neigen oft dazu, neue Aufgaben und Projekte hinzuzufügen, ohne alte oder weniger relevante abzulegen. Dieses systematische Ausmisten vergangener Lasten ist essenziell, um eine mentale und organisatorische Überforderung zu vermeiden.

2.     Strategische Grenzen der Autorität setzen

In Anlehnung an A. John Simmons' ‚Boundaries of Authority‘ (Grenzen der Autorität) ist dieser Ansatz eine Reflexion darüber, wie Organisationen ihre Kontrolle über Bereiche oder Ressourcen moralisch rechtfertigen können.

Simmons, einer der renommiertesten Theoretiker des politischen Engagements, betont, dass echte Autorität ein tiefes Nachdenken über Legitimität und Gerechtigkeit erfordert. Dies lehrt Unternehmen, dass ihre Autorität über Menschen und Ressourcen klaren moralischen Prinzipien folgen muss, die die Grenzen ihrer Ansprüche begrenzen.

Ein klares ‚Nein‘ etabliert nicht nur Grenzen, sondern schafft auch den nötigen Freiraum für Innovation und unternehmerisches Denken. Indem klar kommuniziert wird, welche Aktionen oder Richtungen nicht gewünscht sind, ermöglichen Führungskräfte ihren Teams, innerhalb gesetzter Rahmenbedingungen kreativ und eigeninitiativ zu handeln. Dieser Ansatz der Negativierung hilft dabei, strategische Risiken zu minimieren und gleichzeitig:

  • Den Mitarbeitenden klarzumachen, was von ihnen erwartet wird.

  • Den Mitarbeitenden zu verdeutlichen, welche Handlungen oder Initiativen außerhalb des strategischen Fokus liegen.

So unterstützt eine „Nein“-Liste Organisationen dabei, ihre Ressourcen gezielt einzusetzen und den Weg für Innovationen freizumachen, indem sie eindeutig festlegt, was außerhalb ihrer Prioritäten liegt.

3. Schärfung des Ressourcenfokus in Zeiten knapper Ressourcen

In einem herausfordernden Geschäftsumfeld, in dem Ressourcen oft knapp sind, wird das bewusste „Nein“-Sagen entscheidend. Knappheit zwingt dazu, klare Prioritäten zu setzen. Durch den bewussten Ausschluss bestimmter Optionen und deren Aufnahme in die „Nein“-Liste können Unternehmen sicherstellen, dass ihre begrenzten Ressourcen effektiv auf die wichtigsten Ziele und Projekte konzentriert werden. Dieses selektive Vorgehen hilft nicht nur Streuverluste zu vermeiden, sondern fördert auch eine stärkere strategische Ausrichtung und Effizienz.

Wie komme ich zu den Neins?

Das Festlegen von Prioritäten und die Verwendung hilfreicher Werkzeuge zur Priorisierung von Initiativen sind entscheidend, um effektive „Nein“-Entscheidungen zu treffen.

Vorfilter 1: Die Willingness-to-pay oder die Willingness-to-sell erhöhen

Basierend auf dem Modell von Felix Oberholzer-Gee, einem renommierten Schweizer Wirtschaftsprofessor mit den Schwerpunkten Strategie und Wettbewerbsökonomie, wird zunächst untersucht, ob eine Initiative die Zahlungsbereitschaft (Willingness-to-pay, WtP) erhöht oder die Verkaufsbereitschaft (Willingness-to-sell, WtS) senkt.

Oberholzer-Gees Arbeit bietet wertvolle Einblicke in die Entscheidungsfindung und Ressourcenallokation in Unternehmen, indem sie die Bedeutung der Abwägung zwischen dem maximalen Preis, den Kunden zu zahlen bereit sind, und dem minimalen Preis, den Anbieter akzeptieren, hervorhebt. Diese Perspektive ist besonders nützlich, um zu beurteilen, welche Projekte oder Initiativen den größten Beitrag zum Unternehmenserfolg leisten können und daher priorisiert werden sollten.

Die Schlüsselfrage dabei lautet: Erhöht das Vorhaben die WtP oder senkt es die WtS? Falls ja, geht es weiter zum nächsten Schritt. Falls nein, gehört es auf die „Nein“-Liste.

Vorfilter 2: Anwendung der Priorisierungsmatrix von Exner & Hochreiter

Nach dem ersten Filter kommt die Priorisierungsmatrix von Exner/Hochreiter zum Einsatz, die von Alexander und Hella Exner sowie Gerhard Hochreiter entwickelt wurde, deren Arbeit sich auf effektive Priorisierungsmethoden in Organisationen konzentriert.

Die Matrix hilft bei der Bewertung von Initiativen hinsichtlich ihrer Relevanz für die gesamte Organisation und ihrer Bedeutung für die langfristige Überlebensfähigkeit des Unternehmens. Durch diese systematische Bewertung können Unternehmen sicherstellen, dass sie sich auf die wichtigsten und effektivsten Projekte konzentrieren.

Strategische Priorisierung in der Strategieumsetzung

Das ICE-Modell für die Priorisierung

Nachdem bestimmte Initiativen durch die Vorfilter herausgefiltert wurden, dient das ICE-Modell dazu, die verbleibenden Optionen zu bewerten und zu priorisieren. Das Modell konzentriert sich auf drei Hauptkriterien: Impact (Wirkung), Confidence (Vertrauen) und Ease (Einfachheit der Umsetzung), um eine umfassende Bewertung jeder Initiative zu ermöglichen.

So gehen Sie im Detail vor:

Impact (Auswirkung): Bewerten Sie den potenziellen Einfluss der Initiative auf die Unternehmensziele auf einer Skala von 1 (sehr geringer Einfluss) bis 10 (sehr großer Einfluss). Diese Einschätzung soll die direkte Bedeutung der Initiative für das Erreichen der Kernziele widerspiegeln.

Confidence (Zuversicht): Bewerten Sie die Sicherheit, mit der davon ausgegangen wird, dass die prognostizierte Wirkung tatsächlich eintritt. Die Zuversicht wird ebenfalls auf einer Skala von 1 (geringe Zuversicht) bis 10 (sehr hohe Zuversicht) angegeben, um die Wahrscheinlichkeit des Erfolgs zu quantifizieren.

Ease (Einfachheit): Bewerten Sie, wie einfach die Initiative umgesetzt werden kann. Berücksichtigen Sie dabei Faktoren wie den Zeitaufwand, die erforderlichen Investitionen und die Entwicklung der erforderlichen Kompetenzen oder Fähigkeiten. Die Bewertung erfolgt auf einer Skala von 1 (sehr komplex) bis 10 (leicht umzusetzen).

Berechnung des ICE-Scores: Der Gesamtwert (ICE-Score) jeder Initiative ergibt sich aus der Multiplikation der drei Einzelwerte (Impact, Confidence, Ease). Ein höherer ICE-Score weist darauf hin, dass eine Initiative hinsichtlich ihrer Wirksamkeit und Umsetzbarkeit priorisiert werden sollte.

Einbeziehung verschiedener Perspektiven: Ein zentraler Aspekt des ICE-Modells ist es, die Einschätzungen und das Wissen einer breiten Basis von Mitarbeitenden einzuholen. Dies fördert nicht nur eine vielfältige Sichtweise auf Initiativen, sondern trägt auch zur Akzeptanz von Entscheidungen bei.

Erkenntnisse aus der Praxis: Das ICE-Modell hat sich insbesondere bei der strategischen Entscheidungsfindung und der Bewertung von Initiativen als effektives Instrument erwiesen, da es eine klare Struktur für die Priorisierung bietet.

Die Idee der Nein-Liste weitergedacht

Neben einer strategischen Roadmap, die die Initiativen, Kompetenzen und Fähigkeiten auflistet, die wir aufbauen müssen, führen wir auch eine Art Anti-Roadmap. Diese ist eine handhabbare Darstellung, die verdeutlicht, welche Themen wir reduzieren, eliminieren oder auf den „Friedhof der guten Ideen“ verlegen. Diese Gegenüberstellung hilft nicht nur, unsere strategische Ausrichtung zu schärfen, sondern fördert auch eine Kultur der bewussten Entscheidungsfindung und Prioritätensetzung.

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Foto von Sigmund auf Unsplash