Wie schaffen Unternehmenswerte echten Mehr-Wert?

Es ist Freitag, 17.59 Uhr. Über die Kunden-Hotline kommt eine Beschwerde herein; die Steuerungsapp eines Geräts hat einen Fehler in einer Spezialanwendung. Was entscheidet die Führungskraft des zuständigen Service-Teams?

a) Das Team macht Überstunden, bis die App wieder funktioniert. Der Kunde ist König.

b) Um 18 Uhr ist Feierabend. Ein erholtes und motiviertes Team ist die wichtigste Ressource.

c) Das Team macht ohnehin Überstunden für einen wichtigen Launch. Für Probleme einzelner Kunden ist erst einmal keine Zeit.

Ob Sie Variante a, b oder c für plausibler halten, sagt viel über die Werte in Ihrem Unternehmen aus. Viele Organisationen verfügen inzwischen über definierte Unternehmenswerte. Sie finden sich auf der Webseite, in Präsentationen, werden als Plakate an die Wände gehängt oder den Mitarbeitenden im Taschenformat überreicht. Sie beinhalten oft Merkmale wie Integrität, Teamwork, Eigenverantwortlichkeit und kontinuierliche Verbesserung. Doch hilft dieses Werte-Set der Führungskraft im oben beschriebenen Konfliktfall, eine Entscheidung im Sinne des Unternehmens zu treffen? Eher nicht.

Was sind Werte?

Für Harvard Professor Robert Simons beantworten Kern-Werte (Core Values) die Frage, welche Interessen in einem Unternehmen als erstes berücksichtigt werden. Deshalb ist die Definition echter Kernwerte auch keine „Feel-Good-Übung“, sondern eine kritische Business Entscheidung. Oder mit den Worten von Management-Experte Patrick Lencioni:

"If you’re not willing to accept the pain real values incur, don’t bother going to the trouble of formulating a values statement."[1]

No pain no gain bzw. ohne Fleiß kein Preis gilt also auch, wenn es um die Werte geht. Doch der Einsatz lohnt sich, denn Werte und Performance eines Unternehmens sind eng miteinander verbunden. Kultur und Werte beschreiben das WIE, mit dem eine Organisation ihrer Mission gerecht werden will. Deshalb spielen die Unternehmenswerte eine zentrale Rolle in der strategischen Ausrichtung.

Im Folgenden beleuchte ich die drei wichtigsten Ausprägungen von Unternehmenswerten anhand der Leitfragen:

• Was sind unsere Kern-Werte?

• In welche Richtung wollen wir uns entwickeln?

• Wie arbeiten wir zusammen?

Am Ende des Artikels gebe ich Ihnen Anregungen für einen praktischen Werte-Check in Ihrem Unternehmen.

Core Values: Wie wägen wir zwischen Interessen unterschiedlicher Stakeholder ab?

Die Core Values / Kernwerte eines Unternehmens sind die Antwort auf die geschäftskritische Frage: Wessen Interessen stehen an erster Stelle? Für Simons pendeln sich die meisten Unternehmen innerhalb der folgenden drei Ausrichtungen ein[2]:

  • Kunden FIRST: Unternehmen, die in der langfristigen Beziehung zu zufriedenen Kunden den Schlüssel zu nachhaltigem Unternehmenserfolg sehen.

  • Mitarbeitende FIRST: Hier liegt die Überzeugung zugrunde, dass motivierte Mitarbeitende sich stärker engagieren, damit Kunden binden und auf diese Weise finanzielle Erfolge sichern. Diese Ausrichtung ist oft im Dienstleistungssektor zu finden.

  • Eigentümer/Shareholder FIRST: Im Fokus stehen Gewinnzahlen, Wachstumsziele oder der Aktienkurs: Mitarbeitende sind in dieser Ausrichtung dazu angehalten, das operative Ergebnis mit gezielten Maßnahmen zu optimieren.

Entscheidend ist, dass diese Entscheidung getroffen und klar kommuniziert wird. Denn nur so wissen Ihre Führungskräfte und Mitarbeitenden, in welche Richtung sie gehen sollen. Diese Klarheit stärkt Motivation und Selbstwirksamkeit der Mitarbeitenden auf allen Ebenen. Es gibt dabei kein richtig und falsch, für jede Priorisierung kann es gute Gründe geben.

Wie eine klare Priorisierung von entscheidungsleitenden Werten aussehen kann, zeigt z.B. das "Credo" des US-amerikanischen Pharmazie- und Konsumgüterherstellers Johnson & Johnson.

"Ambition Values": Wohin müssen wir uns entwickeln, um zukünftig erfolgreich zu sein?

Unter dem Begriff "Ambition Values" werden Werte zusammengefasst, die anzeigen, welches Performance-Niveau (Ausprägung der Leistungskultur) benötigt wird und wo sich eine Organisation oder ein Team entwickeln muss.

Diese Werte werden häufig im Zuge der Strategieentwicklung oder Strategieüberarbeitung auf den Prüfstand gestellt: Passen die Anforderungen, die wir an die Performance unserer Teams stellen, und unsere Werte noch zusammen? Auch sich verändernde Marktanforderungen können Treiber für die Erarbeitung von zielbezogenen Werten sein. Beispiel: Ein Unternehmen will sich durch Technologie-Überlegenheit am Markt differenzieren. Der Fokus auf die Werte "Innovation" und "kontinuierliches Lernen" unterstützt die strategische Ausrichtung.

„Permission-to-Play“ Values: Wie arbeiten wir zusammen?

Diese Werte beschreiben die Verhaltens- und Sozialstandards des Unternehmens und bilden den ethisch-moralischen Kompass für die Mitarbeitenden. Zwar ist in diesem Wertebereich deutlich weniger Differenzierung zwischen Unternehmen möglich, dennoch können diese "Regeln des Miteinanders" in Kombination mit Purpose / Mission die Attraktivität einer Organisation steigern.

So hat sich beispielsweise die Bio-Supermarktkette Alnatura der Mission „Sinnvoll für Mensch und Erde“ verschrieben. Die Kernwerte Ganzheitlichkeit, Kundenorientierung und Selbstverantwortung verankern diese Mission in der Organisation. So gelingt es Alnatura, Mitarbeitende anzuziehen, die dieses Werte-Set teilen und sich aus intrinsischer Motivation für die gemeinsamen Ziele einsetzen.

Werte-Check: Wie sieht das Commitment zu den Kernwerten in meinem Unternehmen aus?

Es gibt heute kaum ein Unternehmen, das keine ausformulierten Kernwerte hat. Doch sind diese Werte wirksam im Sinne der Unternehmensstrategie? Mit den folgenden Fragen können Sie sich ein erstes Bild verschaffen – und mögliche Verbesserungspotenziale identifizieren:

  • Welche schwierigen Entscheidungen haben wir in der Vergangenheit getroffen? Bsp.: Wie gehen wir mit Mitarbeitenden in der Krise um?

  • Wie bilden Beförderungen und Incentives die Schlüsselwerte ab? Was belohnen wir? Bsp.: Ein Unternehmen hat den Wert "Teamwork", aber alle Prämien werden für individuelle Leistungen ausgelobt. Verbesserung: Teamwork als Wert bildet sich z.B. in Teamprämien oder Gesamterfolgsprämien ab.

  • Fragen Sie Ihre Belegschaft: Welche Werte haben Sie verstanden und wenden Sie auch an?

Gerne bin ich Ihr Sparringspartner, wenn Sie sich über Ihre Unternehmenswerte im Kontext einer ganzheitlichen Strategieüberprüfung austauschen wollen. Ich freue mich über Ihre Nachricht.

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[1] Patrick M. Lencioni, Make Your Values Mean Something, in: Harvard Business Review 7/2002: https://hbr.org/2002/07/make-your-values-mean-something

[2] Vgl. Robert Simons, Seven Strategy Questions: A Simple Approach for Better Execution, Harvard Business Review Press 2010, 46 ff.